TUNE IN - TUMMELPLATZ
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Herbert Christian Stöger - „In diesem Kopf geht nichts mehr vor“ Ich habe immer schon davon geträumt, daß es irgendwo einen Ort geben muß, an dem man sich gänzlich verliert. Aber nicht in die Mitte einer Frau, sondern einen Ort, der auch nicht weit von dem eigenen momentanen Standpunkt sein muß, und daß man dort all das abzulegen vermag, was einen erschwert; befreit, wovon man in der Nacht träumt und am Morgen schweißnaß aufwacht. Oft bin ich über den Tummelplatz gegangen, obwohl es nicht immer eine Abkürzung bedeutete, aber allein zu wissen,dies war schon einmal ein Ort, wo sich ein Leben radikal geändert hat, beendet worden ist, zieht mich an. Wäre es dunkel, es wäre Nacht, schliefe ich längst in meinem Bett und käme auf diesen Platz, würde ich eine Decke finden, verloren oder nur hinterlegt neben dem Brunnen. Unter dieser stecken keine Gedanken, aber wäre sie noch warm, hätte sie jemand gerade erst benutzt. Ist aber durch irgendetwas aufgeschreckt worden und geflohen. Hat fliehen können. Begründet oder nicht. Die Beute liegt vor mir. Man kann natürlich auch auf die verheißungsvollen Wunder der Medizin setzen, und im Todesfall würde einen dann irgendwann irgendwer wieder auferwecken, wenn man zuvor eingefroren worden wäre. Vielleicht auch nur das Gehirn. Und man erwacht in etwa 20 Jahren und hat bereits einen Namen. Aber die Füße, die einen tragen, sind nicht mehr die gleichen, an die man sich erinnern kann. Wie auch das Gesicht im Spiegel. Der Reisepaß wird nicht mehr gültig sein. Aber mit diesem Ausweis wird man ohnedies, unter diesen Umständen, mit diesem Namen und einer derartigen Veränderung der Physiognomie, nicht so schnell wieder sich selbst – in ein fernes Land – entfliehen können. Statt dessen könnte man mit der wiedererwachten Erinnerung ein Phantombild erstellen lassen oder wüßte sogar den Namen des Täters, würde man ermordet worden sein. Da dies alles noch nicht zutrifft und ja die meisten Opfer nicht konserviert wurden, wird man andere Möglichkeiten zum Herausfinden des Mörders anwenden müssen. Die kriminalistische Technik hat sich entwickelt. Alte, damals unbedeutende Spuren könnten bedeutend werden. Es könnten inzwischen auch andere Dokumente aufgetaucht sein. Aber vielleicht trifft es mittlerweile nicht nur den Täter, sondern auch dessen Kinder. Da wird aus einem Elternteil ein ganzer Mörder. Photos werden nach der Aufdeckung in den Zeitungen erscheinen. Diese entlarvte Person steht dann in der Küche und kocht ein letztes Mal für die Kinder, die längst wissen, es wird das letzte Mal sein, daß so und hier für sie gekocht wird. Und sie werden nicht nur Angst bekommen, weil sie einen Menschen hinter Gitter verlieren werden. Sondern das Vertrauen ist verloren und eine bestimmte Angst macht sich breit, auch wenn sie um das eigene Leben wohl unbegründet sein mag. Das Leben wird für die Betroffenen nicht mehr so weitergehen. Es muß ein Schlußstrich hinter all das gezogen werden. Mit jedem Bissen denkt der Bub an seine Freundin, die bald ein Kind von ihm bekommen wird. Aber soll er das jetzt noch sagen? Soll er sich darüber nun freuen, wenn auch er durch diese Lebensveränderung des Elternteils eine eigene erfährt. Auch seine Freundin wird es erfahren. Und er überlegt noch zu sagen, gut ist das Essen, aber hoffen, mein bald geborenes Kind wird mich noch erleben. Das könnte in Köpfen vorgehen. Nur nicht mehr im Kopf von Günther Schädel. Er hatte am Abend des 26. Februar 1988 noch über die Olympischen Spiele in Calgary geschrieben, um dann gegen 23.15 Uhr von der Redaktion in die Altstadt zu einer Lokaltour aufzubrechen. Im letzten Lokal wurde er etwa um 3.30 Uhr gesehen und er machte sich auf seinen Heimweg. Vielleicht habe ich davor nie von diesem Mord gehört oder gelesen. War allein das überqueren dieses Platzes Hinweis genug? Der angstvolle Weg von meiner damaligen Schule zu einem Haus am Tummelplatz, wo fünf Zahnärztinnen in einem großen Saal auf die Kinder einer Volksschule warteten. Auf einer langen Bank zu sitzen und warten bedeutete die erste Verurteilung. Man malte sich aus, wie alt die älteste ärztin wohl sein mochte. Und dort hin verbohrte sich der mögliche Schmerz dann. Man wurde aufgerufen und mußte genau auf jenem Stuhl Platz nehmen, dorthin man am wenigsten wollte. Zur ältesten Zahnärztin, die mit ihren weißen Haaren und den zittrigen Händen genau das Gegenteil von Erfahrung und Sicherheit ausstrahlte. Das Eckhaus am Tummelplatz Richtung Altstadt war vor mehr als dreißig Jahren dieser Ort. Für einen kleinen Bub ein Ort des Grauens, wie zum Beispiel damals auch die Zahnklinik in der Rainerstraße. Manche kauen ein Leben lang an solchen Erinnerungen. Einmal eingeführt ins Leben, schreibt sich diese Angst in Körper und Gedanken fest. Als würde man ein Leben lang immer beim Gehen zurückblicken und ein leichtes Stolpern zum falschen Augenblick bringt einen tödlichen Sturz mit sich. Das Auto, das man hinter sich fürchtet, kann einen auch von vorne überfahren, wenn man immer nur zurückblickt.
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