TUNE IN - NIBELUNGENBRÜCKE
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Thomas Baum - „Nibelungenbrücke“ (Auszug) Meine Geliebte ist die Donau und explizit die Nibelungenbrücke ist meine Hauptgeliebte. Die beiden habe ich mir auserwählt zu meinen suizidalen Zentren. Zu meinen Forschungsschwerpunkten einerseits und zu meinen Lebensmittelpunkten andererseits. Die Nibelungenbrücke entpuppt sich in Nebelnächten als Sammelbecken lebensmüder Gestalten! Darum bin auch ich hier zu Hause. Nicht der Bahnhof und seine Geleise, auf die der Hals oder gar gleich der Schädel sich legen ließe, bereit für den blitzschnellen Schnitt rostiger Eisenräder, nicht der Urfahrer Hochhauslulatsch Lentia 2000, auch nicht das weitaus steilere Lenauhochhaus, welches indifferenter erbaut ist, also gerader und so dem freien Fall entgegen-kommender, ja nicht einmal die nicht ungern benützte Aussichtswarte auf dem Linzer Schlossberg unweit des Museums, wo man bei einem Absprung mit einem mehrmaligen Aufprall des Körpers an den über der Donauuferstraße herausragenden spitzen Felszacken rechnen könnte, sie allesamt können dem Wasser nicht das Wasser reichen. Unschlagbar ist die Brücke, und die Donau ist unübertrefflich. Die beiden genießen den ungebrochenen und bis ins hohe Mühlviertel sich ausbreitenden Ruf einer ausgezeichneten und einmaligen Gelegenheit, dem Leben ein Ende zu machen. Noch dazu ist Wasser ungleich einladender als Asphalt. Obwohl es nicht allzu viele tatsächlich tun. Viele schlendern vorerst einmal nur so über die Brücke. Mit in Hosentaschen vergrabenen Händen machen sie sich bekannt, wandern hin und her, blicken hinunter zum Wasser, streicheln möglicherweise verlegen übers Geländer, schätzen in die Tiefe hinab, lachen verkrampft den gellenden Möwen zu, beißen die Zähne fest in die Lippen, schlucken schwer, greifen sich kurz an den Magen, um sich gleich darauf sich zu besinnen, zu fassen und lässig abzugehen von dieser seltsamen Bühne, deren Bretter sie kibitzhaft betraten, um einige Blicke hinter den Vorhang zu wagen. Es heißt Aufregung genug, heimlich die Phantasie einer Endzeittragödie spielen zu lassen und sich selbst als heldenhaften Protagonisten in die erschütternde Szene zu schicken. Diese Koketterie mit dem Tod, sie bringt auf den Geschmack. Bon appetit. Die Zunge liegt im Speichelwasser. Man wird wohl vielleicht einmal kosten von dieser Speise. Doch bitteschön nicht zu schnell. Die Fresslust hat schon viele Mägen verdorben. Noch dazu ist jene Mahlzeit, das kann man wohl sagen, die leichteste nicht. Drum ab und heim und weitergelebt bis auf ein Nächstes. Viele schaffen diesen Schritt von der Brücke zurück in den Alltag. Manch andere erliegen ihrem Ausflug zum Hades. Wobei die Brücke das ihre tut. Auf ihr zu gehen, bedeutet dem Wasser immer näher zu sein als der Straße. Wenn also ein betrunkener Melancholiker, eine alleingelassene Depressive oder ein notorischer Selbstzerstörer zum richtigen Zeitpunkt auf die Brücke geht und in das erotisch-laszive Nibelungenbrücken-Donau-Magnetfeld gerät, kann man es allein der Laune der Brücke zuschreiben, ob jene Person am nächsten Morgen die Zeitung zu lesen imstande ist oder als kleine Randnotiz in ihrem Lokalteil aufscheint. Sie gehen auf die Brücke, spüren den Wind an ihren Schläfen und sind allein.
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