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RADIOSPOTTING
„radiospotting“ ist Kunst im öffentlichen Raum und verbindet Literatur und Radiokunst mit der Kultur und
Architektur der Stadt Linz. 13 renommierte oberösterreichische Autorinnen und Autoren haben Geschichten und Texte zu bestimmten Orten in der Stadt verfasst, die den Stadtraum, seine Geschichte, Soziologie und Poesie literarisch aufnehmen. Die Texte werden nach der Ausschreibung von KünstlerInnen der Bereiche
Komposition, Soundart, Experimentelle Musik, Bildende und Darstellende Kunst vertont. Es sollen Radiokunstwerke entstehen, die den Wahrnehmungsraum bestimmter Orte der Stadt Linz erweitern.
13 Radiostationen sind an den bestimmen Orten in der Stadt Linz eingerichtet und strahlen die akustischen Werke mit begrenzter Reichweite auf einer gemeinsamen Radiofrequenz aus. Mithilfe eines Radioempfängers und der literarischen Texte haben BesucherInnen die Möglichkeit, diese Orte zu erforschen und das Nicht-Sichtbare dahinter zu entdecken – zu Fuß, am Fahrrad oder im Auto.
So wird das Stadtbild feinfühlig aufgebrochen und zum subversiven Experimentierfeld für neue künstlerische Ansätze. Die Schauplätze der Geschichten erlangen neue und sonderbare Bedeutung und verdichten sich
zu einem radiophonen Stadtplan. Auf diese Weise wird für Publikumsschichten weit über das klassische
Kulturpublikum hinaus ein außergewöhnlicher und sinnreicher Zugang zu verborgenen Bereichen und abwechslungsreichen Geschichten geboten.
„radiospotting“ wird Ende August eröffnet und läuft bis Oktober 2009.
Einmal hören ist besser als hundertmal sehen!
Wozu ist es gut, einen Ort zu besuchen, wenn doch die Augen alles schon wissen, wenn die Bilder schon alles sagen?
Das Auge ist immer ein Organ von Anstrengung und Konzentration, es versucht etwas bestimmtes eindeutig zu verstehen. Dem gegenüber ist das Ohr eher dekonzentriert und passiv, das man nicht wie die Augen erst aufsperren muss. Den sehenden Menschen als rational oder den Hörenden als introvertiert und geistesabwesend zu bezeichnen wäre aber unangebracht. Im Vergleich zum Sehen scheint das Hören etwas Dösendes, Dumpfes zu sein.
In dieser Passivität aber liegt ein gesellschaftliches Tabu, das über Müssiggang und Faulheit verhängt wurde.
Die Musik hat immer schon damit experimentiert, dieses Tabu zu überlisten. Sie hat das Dösen, das Träumerische, das Passive zu einer künstlerischen Auseinandersetzung, zu Anstrengung und ernster Arbeit geführt.1
Das Aufbegehren und die Revolution des Mediums Radio hat die Aufgabe, genau dort anzuknüpfen. In den Manifesten der ersten Radioaktivisten
zeigen sich beispielhafte Radio-Visionen wie das Medium einst als ästhetisch formbar, als ein zu gestaltender Raum begriffen wurde, und zwar auf vielen Ebenen. 1924 publizierte der Komponist Kurt Weill seine Idee der absoluten Radiokunst. „Wir können uns sehr gut vorstellen“, so schrieb Weill, „dass zu den Tönen und Rhythmen der Musik neue Klänge hinzutreten, Klänge aus anderen Sphären: Rufe menschlicher und tierischer Stimmen, Natur stimmen, Rauschen von Winden, Wasser, Bäumen und dann ein Heer neuer, unerhörter Geräusche, die das Mikrophon auf künstlichem Wege erzeugen könnte, wenn Klangwellen ineinander-verwoben, verweht und neu geboren werden“. 2
Es scheint so, als ob die visuelle Wahrnehmung eher die Oberfläche abtastet, während die auditive in die Tiefe geht, dass die Haltung des einen suchend und bewegt, die des andern ruhig und wartend ist.
Da jedoch unsere Kultur im allgemeinen und insbesondere die Didaktik zu lange einseitig die visuelle Ebene gefördert hat, ist eine Betonung des Lauschens und Hinhörens auch als Bestandteil einer kommunikativen Ethik geboten. Das Ohr unser "archaischeres" Organ, lässt uns Grenzen der Wahrnehmung und Erinnerung überschreiten oder klarer ausgedrückt: Es erlaubt uns, den erfahrbaren und erlebbaren Raum auszuweiten. Der verborgene Sinn ist der zu entdeckende - während man analog dazu Orte und ihre Geschichten erforschen kann.
Die Idee "Musik zwischen den Zeilen zu hören" erscheint als
entscheidend, um ein gewohntes oder unbekanntes Stadtbild feinfühlig
aufzubrechen und damit das Nicht-Sichtbare von Orten der Stadt entdecken zu können.
Die Inbetriebnahme des Massenmediums Radio soll, wie einst als Idee in den 1920er Jahren, als Projektionsraum aufgenommen werden, eine Art Spielfeld, das zu den unterschiedlichen Künsten eine geeignete Umgebung für grenzüberschreitende Projekte zu schaffen verspricht.
Die für das 20. Jahrhundert allgemein festzustellende Tendenz der Grenzverwischung zwischen den einzelnen Künsten, zwischen Literatur und Bildender Kunst, zwischen Musik und Literatur wie zwischen Bildender Kunst und Musik, soll sich weiterentwickeln und es müssen neue Zugänge geschaffen werden. Den Genres der originären Künste im Medium Radio darf dabei ruhig weiterhin ein gewisser Ruch des Grenzgängertums anhaften, solange das Spannungsverhältnis von Narration, Abstraktion und Imagination zu neuen künstlerischen Ansätzen führt.
1 - Adorno, Theodor W. und Eisler, Hanns (1976) Komposition für den Film, Gesammelte Schriften, Bd. 15, Frankfurt am Main
2 - Kurt Weil: Möglichkeiten absoluter Radiokunst, in: Der deutsche Rundfunk, Heft 26, 3.Jg 1925, S. 1627 |
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